Ist sie nun gesund oder ist sie’s nicht? Über Milch herrscht in dieser Hinsicht zunehmend Verunsicherung. In diesem Teil meiner »Milch-Reihe« widme ich mich daher der spannenden Frage, ob Milch unser Krebsrisiko beeinflusst … und wenn ja – wie?! Sind Milchprodukte eher ein Risiko oder ein Schutzfaktor in Sachen Krebs?
Manche Lebensmittel sollen, was unsere Gesundheit angeht, angeblich wahre Wunder vollbringen. Neudeutsch nennt man diese dann »Superfoods«; meistens kommen sie aus fernen Ländern und tragen exotisch klingende Namen wie ‚Goji‘, ‚Qinoa‘ oder ‚Acai‘.
Doch auch in heimischen Gefilden haben wir eigentlich genügend gute und gesunde Lebensmittel, die den Titel »Superfood« verdienen. Kuhmilch war ebenfalls lange Zeit eine Kandidatin für diese Liste, man schrieb ihr erfreulich positive Effekte auf unsere Gesundheit zu.
Dass bei den übertriebenen Versprechungen oft mehr der Wunsch Vater des Gedankens war, habe ich leider bereits in Teil 1 feststellen müssen, als es um die Knochengesundheit ging – der Realitätscheck hinsichtlich Osteoporose fiel trotz aller positiven Merkmalen von Milch doch eher ernüchternd aus… Aber vielleicht entpuppt sich Milch, was den Schutz vor Krebs angeht, als relevanter Faktor?!
Vielerlei Studien haben sich mit diesem Thema jedenfalls schon beschäftigt. Und wie immer in der Medizin und Wissenschaft gilt: es ist kompliziert! Weil es so viel zu lesen gibt, hat es dieses Mal etwas gedauert, bis ich diesen Artikel fertig bekommen konnte. Im Folgenden will ich versuchen, die vorhandene Studienlage darzustellen und die Ergebnisse einzuordnen.
Milch und Prostatakrebs
»Milch macht müde Männer munter!« … das war auch so ein Werbeslogan der 50er Jahre. Dazu passt nur schlecht, dass einige Untersuchungen in den letzten Jahren den Verdacht nährten, Milchkonsum steigere möglicherweise das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken1. Schuld hieran könnten theoretisch verschiedene, natürlicher Weise in der Milch vorkommende Botenstoffe und Hormone sein, zum Beispiel Östrogene oder die so genannten Insulin-Like Growth Factors (IGFs)2,3.
Allerdings sind die Evidenzen widersprüchlich – manche groß angelegten epidemiologischen Analysen sehen unter Wertung der vielen uneinheitlichen Daten in der Summe kein erhöhtes Risiko4, andere halten nur bei Männern nach durchgemachter Prostatakrebs-Erkrankung Milch für problematisch und machen den fortgesetzten Milchkonsum für eine erhöhte Rückfallquote verantwortlich5.
Meiner Erfahrung nach spricht eine so uneinheitliche Datenlage eher dafür, dass die Effekte im Alltag für den Einzelnen vernachlässigbar sind, bzw. dass noch andere Faktoren eine Rolle spielen. So vermutet man beispielsweise, dass vermeidbare Verunreinigungen in der Milch die eigentlichen Übeltäter sein könnten, welche die sonst förderlichen Effekte der Milch zunichte machen6. Aus theoretischen Überlegungen lässt sich jedoch ein potenzielles Risiko zumindest für ehemalige Krebspatienten nicht ganz von der Hand weisen.
Milch und Eierstockkrebs
Auch für den Eierstockkrebs spekulierten Analysen älteren Datums, dass eines der möglichen Erkrankungsrisiken von einem vermehrten Milchkonsum ausgehen könnte7. Es wurde unter anderem gemutmaßt, dass dies mit einer Stimualtion der körpereigenen Gonadotropin-Produktion zu tun haben könnte8.
Neuere Studien hingegen sprechen Milch und Milchprodukte eher vom Verdacht frei, für Eierstockkrebs mit-verantwortlich zu sein, bzw. sehen höchstens winzige statistische Effekte, die klinisch jedoch nicht relevant sein dürften9,10. Hier gilt wohl wirklich: »im Zweifel für die Angeklagte«. Die Hinweise für mögliche negative Effekte sind jedenfalls deutlich schlechter zu belegen, als beim Prostatakarzinom.
Milch könnte uns sogar vor Krebs schützen
Bislang sieht es für den Ruf der Milch als Superfood ja eher nicht so gut aus – bestenfalls macht sie keinen Unterschied, schlimmstenfalls erhöht sie das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken… Es wird Zeit, dass wir über die Studien sprechen, die Milch in Sachen Krebs in ein besseres Licht rücken können – und die gibt es tatsächlich6!
Aktuell mehren sich zum Beispiel Hinweise, dass der regelmäßige Verzehr von Milch und Milchprodukten vor Dickdarmkrebs schützen kann11,10. Auch das Risiko von Blasenkrebs scheint für Milchtrinker vermindert zu sein12,11. Für Brustkrebs ist der Nutzen von Milch weniger klar, aber tendenziell immer noch vorhanden10.
Was Gedanken der allgemeinen Krebsprävention angeht, so haben wir zuvor gelernt, dass Milch einen wichtigen Vitamin-D-Lieferanten darstellen kann, so dass ein regelmäßiger Konsum von Milch und Milchprodukten einem Mangel vorbeugen hilft. Da ein Vitamin-D-Mangel wiederum im Verdacht steht, für eine erhöhte Krebsanfälligkeit verantwortlich zu sein13,14, wäre Milch hier also zumindest indirekt zuträglich!
Mein vorläufiges Fazit, »Milchprodukte und Krebs«
Wie bei vielen Lebensmitteln halten sich bei Milch vermutlich Vor- und Nachteile die Waage. Besonders belastbar sind die Hinweise weder in positiver- noch in negativer Hinsicht. In Anbetracht der unsicheren Studienlage würde ich aber zumindest Männern nach der Behandlung eines Prostata-Karzinoms raten, vorsichtshalber ihren Milchkonsum eher zu reduzieren.
Hier geht es weiter mit Teil 3.
In meinem dritten und letzten Teil der epischen »Milch-Saga« blicke ich auf verschiedenste Eigenschaften, die man der Milch – zurecht oder zu Unrecht? – zugeschrieben hat.
Quellen und Anmerkungen:
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