Anfang Mai titelten viele Blätter: „die Mehrheit der Deutschen lehnt gendergerechte Sprache ab“. Davon abgesehen, dass schon die in Auftrag gegebene Umfrage eindeutig ideologisch motiviert war, ist man sich auch in den Sozialen Medien scheinbar mehrheitlich mit dem Verein Deutscher Sprache (VDS) e.v. einig: „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ [10]. Was aber sind die genannten Argumente der breiten Gegnerschaft und was ist daran? Kurz zusammengefast: mich überzeugen die Argumente der Gender-Gegner nur wenig.
Argument 1:
„Wir haben doch das generische Maskulinum, die Frauen sind sowieso immer mitgemeint“
Da Frauen gesellschaftlich über Jahrhunderte von vielen Berufen und Funktionen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen waren, ergab sich die Notwendigkeit für eine weibliche Form lange ohnehin nicht. Es war sprachlich lediglich festgeschrieben, was gesellschaftlicher Konsens war. Wir verdanken es Pionier*innen (sic!) wie Dorothea C. Erxleben, Hélène Dutrieur oder Elisa Leonida Zamfirescu und vielen anderen, die sich einen Platz in zuvor komplett männlichen Domänen erkämpften und sich tagtäglich dort behaupten mussten und bis heute müssen. Wenn es nach dem generischen Maskulinum geht, blieben und bleiben diese Frauen bis heute aber sprachlich oft unsichtbar (- Eine späte Rache der Männer?;)
„Das ist nunmal so, es war schon immer so“, sagen die Gender-Gegner – Da ist es ein interessantes Faktum, dass der Duden die ‚generische‘ Definition des Maskulinums überhaupt erst Ende der 90’er Jahre getroffen hat, sie ein paar Jahre später jedoch wieder aus dem Standardwerk gestrichen wurde und diese Begriflichkeit bis heute eher gemieden wird. Gleichzeitig wurde seit Mitte der 90’er nach und nach weibliche Berufsbezeichnungen im Duden aufgenommen.
Leider zeigen Studien nämlich, dass tatsächlich generische maskuline Bezeichnungen nach wie vor eher mit männlichen Eigenschaften, bzw. dem männlichen Geschlecht assoziiert werden. Frauen fühlen sich dadurch nachweislich weniger angesprochen, bzw. schätzen sich selbst fälschlich als weniger kompetent oder passend für eine ausgeschriebene Position ein [2, 4, 7]. Dies geht so weit, dass je nach Formulierung einer Aufgabenstellung – etwa einer Text-Rechenaufgabe – Frauen schlechter abschneiden, wenn im Aufgabentext die rein männliche Form gewählt wird [4]. Durch die Sprache manifestiert sich also, zwar sehr subtil, aber doch messbar, weiterhin eine Diskriminierung; was sich für Frauen konkret ummünzt in sozialen, beruflichen und finanziellen Status. Dies ist nicht nur im Deutschen zu sehen – der Vergleich verschiedener Sprachen und Länder zeigt: je stärker betont das grammatikalische Geschlecht wird, desto stärker ist der nachteilige Effekt.
Die Schweden zeigen, dass es auch anders geht: dort gab es, ähnlich wie bei uns, keinen gender-neutrale Artikel – dieser wurde ‚künstlich‘ eingeführt. Studien bestätigen nun, dass sich der gender-neutrale Artikel (‚hen‘) nicht nur gut etabliert hat [8], sondern tatsächlich auch zu einem Rückgang des zuvor vorhandenen geschlechtsbezogenen Vorurteilen geführt hat [6]. Auch andere Studien zeigen, dass eine gender-gerechte Sprache hilft, die geschlechtsspezifischen Attributionen aufzubrechen [3].
Argument 2:
„Das Gendern zerstört den Sprachfluss, ist anstrengend zu lesen“
Das ist vermutlich eine Frage der Gewöhnung [8]. Es gibt diverse Vorschläge zur Umsetzung einer gender-neutralen Sprache – alle scheinen Vor- und Nachteile zu haben. Das ist richtig, kann und sollte aber kein Hinderungsgrund darstellen, sich um eine diskriminierungsfreie Sprache zu bemühen. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache e.V. (GfdS) formuliert das, grob umschrieben, in ihrer offiziellen Stellungnahme zum Gendern so [11]: man erkennt grundsätzlich den Bedarf an einer neutraleren Sprachregelung an und empfiehlt bei der Lösung auf verschiedene Kritierien wie (vor-)Lesbarkeit und Verständlichkeit zu achten. Auf den ersten Blick fast Radikal scheint ein Vorschlag der GfdS, neben männlicher und weiblicher Form zukünftig jeweils noch eine dritte, ungeschlechtliche Form neu zu schaffen – also „Arzt, Ärztin, 3.Form..?“.
Am ehesten umsetzbar ist m.E., zumindest die weibliche und männliche Form explizit auszuschreiben (z.B. „Besucherinnen und Besucher“). Wohlweislich, dass non-binäre Geschlechtsidentitäten hierbei ausgeblendet werden. Studien konnten zeigen, dass bei Nutzung dieser Beidnennung die weibliche Repräsentanz tatsächlich zunimmt; interessanter Weise gingen die Probanden jedoch davon aus, dass der weibliche Part das niedrigere Einkommen hat, obwohl Kompetenz und sozialer Status für beide Geschlechter gleich eingeschätzt wurden.
Argument 3:
„Der Gender-Wahnsinn wird uns nur künstlich aufgezwungen: man schafft Lehrstühle für Gender-Studien, die jetzt diesen Quatsch produzieren“
Dieses Argument halte ich für besonders perfide. Man unterstellt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern prima vista eine Voreingenommenheit, nur weil einem die Erkenntnisse nicht gefallen, die sich aus deren Forschungsprojekten ergeben. Manch ein „Männerrechtler“ sieht gar eine „Verschwörung“ oder „immer die selben Netzwerke, die sich gegenseitig zitieren“ – man(n) lässt außer Acht, dass genau dies die Aufgabe von guter Wissenschaft ist und sich darüber zwangsläufig ein Expertentum entwickelt. Natürlich werden diese Expertinnen und Experten dann bevorzugt gefragt, wenn es um das Thema Gendern geht.
Anders ausgedrückt: Impfstoff-Forschung generiert neue Impfstoffe, Materialforschung Wissen zur Materialbeschaffenheit.. und Gender-Forschung eben Erkenntnisse zum Thema „Gender“… logisch, oder?!
Ein weiterer Aspekt steckt in diesem Argument: man verweist darauf, dass Sprache sich doch ohnehin ständig ändere – man müsse nur Geduld haben und auf die natürliche Anpassung abwarten, dann müsse man das Gendern nicht künstlich erzwingen. Dieses Argument übersieht, dass viele konservative Parteien und Lobbygruppen sich auch in jüngster Vergangenheit aktiv einer (sprachlichen) Emanzipation und der Durchsetzung einer Gleichberechtigung entgegensetzen. Man nimmt dabei offenbar auch den inneren Widerspruch zu Argument 1 gerne in Kauf. Gleichzeitig wird negiert, dass wir gerade jetzt der Sprache bei ihrer Veränderung förmlich zusehen können! Die Sprache folgt letztlich den gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu mehr Pluralität und Gleichberechtigung.
Ziel diverser Falschbehauptungen und zum Teil gezielter Kampagnen insbesondere aus der völkischen, national-konservativen Ecke ist es, die traditionelle Geschlechterrolle festzuschreiben und alle anderen Ansätze zu diskreditieren. Ein gerne bemühtes Narrativ ist dabei, „Gender“ als etwas Bedrohliches darzustellen, das unsere Gesellschaftsordnung untergräbt [9].
Fazit
Zahllose wissenschaftliche Evidenzen sprechen dafür, dass eine gendergerechte Sprache tatsächlich wichtig ist [5] dass die Beibehaltung des generischen Maskulinums zu einer Aufrechterhaltung überkommener Stereotype und zu tagtäglicher Diskrimination beiträgt [1]. Die Möglichkeiten zur „Sichtbarmachung“ auch des weiblichen Geschlechts (und des inzwischen auch rechtlich anerkannten „dritten Geschlechts“, bzw. queerer Geschlechtsidentitäten) sind zahllos – alle haben ihre Vor- und Nachteile… am praktikabelsten erscheint mir derzeit die Beidnennung und/oder Passivformen („liebe Studierende“) die radikalste Lösung wäre die Schaffung einer wirklich geschlechtsneutralen dritten Bezeichnung, wie etwa in Schweden erfolgreich vorgelebt.
Literatur und Quellen:
- 1.Brown CS, Stone EA (2016) Gender Stereotypes and Discrimination. In: Equity and Justice in Developmental Science: Theoretical and Methodological Issues. Elsevier, S 105–133
- 2.Gaucher D, Friesen J, Kay AC (2011) Evidence that gendered wording in job advertisements exists and sustains gender inequality. Journal of Personality and Social Psychology:109–128. https://doi.org/10.1037/a0022530
- 3.Kollmayer M, Pfaffel A, Schober B, Brandt L (2018) Breaking Away From the Male Stereotype of a Specialist: Gendered Language Affects Performance in a Thinking Task. Front Psychol. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2018.00985
- 4.Kricheli-Katz T, Regev T (2021) The effect of language on performance: do gendered languages fail women in maths? npj Sci Learn. https://doi.org/10.1038/s41539-021–00087‑7
- 5.Sczesny S, Formanowicz M, Moser F (2016) Can Gender-Fair Language Reduce Gender Stereotyping and Discrimination? Front Psychol. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2016.00025
- 6.Tavits M, Pérez EO (2019) Language influences mass opinion toward gender and LGBT equality. Proc Natl Acad Sci USA:16781–16786. https://doi.org/10.1073/pnas.1908156116
- 7.Vainapel S, Shamir OY, Tenenbaum Y, Gilam G (2015) The dark side of gendered language: The masculine-generic form as a cause for self-report bias. Psychological Assessment:1513–1519. https://doi.org/10.1037/pas0000156
- 8.Vergoossen HP, Pärnamets P, Renström EA, Gustafsson Sendén M (2020) Are New Gender-Neutral Pronouns Difficult to Process in Reading? The Case of Hen in SWEDISH. Front Psychol. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.574356
- 9.(2017) Bundeszentrale für politische Bildung: „Gender“ und „Genderwahn“ – neue Feindbilder der extremen Rechten. https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/259953/gender-und-genderwahn. Zugegriffen: 30. Juni 2021
- 10.Verein Deutscher Sprache – Schluss mit Gender-Unfug! https://vds-ev.de/gegenwartsdeutsch/gendersprache/gendersprache-unterschriften/schluss-mit-dem-gender-unfug/. Zugegriffen: 27. Mai 2021
- 11.Gesellschaft für Deutsche Sprache – Gendergerechte Sprache. https://gfds.de/schwerpunkt-gendering/. Zugegriffen: 27. Mai 2021