font, lead set, book printing

Gendergerechte Sprache

Photo by wilhei on Pixabay.

Anfang Mai titel­ten vie­le Blät­ter: „die Mehr­heit der Deut­schen lehnt gen­der­ge­rech­te Spra­che ab“. Davon abge­se­hen, dass schon die in Auf­trag gege­be­ne Umfra­ge ein­deu­tig ideo­lo­gisch moti­viert war, ist man sich auch in den Sozia­len Medi­en schein­bar mehr­heit­lich mit dem Ver­ein Deut­scher Spra­che (VDS) e.v. einig: „Schluss mit dem Gender-Unfug!“ ​[10]​. Was aber sind die genann­ten Argu­men­te der brei­ten Geg­ner­schaft und was ist dar­an? Kurz zusam­men­ge­fast: mich über­zeu­gen die Argu­men­te der Gender-Gegner nur wenig.

Argu­ment 1:

„Wir haben doch das gene­ri­sche Mas­ku­li­num, die Frau­en sind sowie­so immer mitgemeint“

Pilotin Hélène Dutrieux
Pilo­tin Hélè­ne Dutrieu in ihrem Flug­zeug, ca. 1911

Da Frau­en gesell­schaft­lich über Jahr­hun­der­te von vie­len Beru­fen und Funk­tio­nen des öffent­li­chen Lebens aus­ge­schlos­sen waren, ergab sich die Not­wen­dig­keit für eine weib­li­che Form lan­ge ohne­hin nicht. Es war sprach­lich ledig­lich fest­ge­schrie­ben, was gesell­schaft­li­cher Kon­sens war. Wir ver­dan­ken es Pionier*innen (sic!) wie Doro­thea C. Erx­le­ben, Hélè­ne Dutri­eur oder Eli­sa Leo­ni­da Zam­fi­res­cu und vie­len ande­ren, die sich einen Platz in zuvor kom­plett männ­li­chen Domä­nen erkämpf­ten und sich tag­täg­lich dort behaup­ten muss­ten und bis heu­te müs­sen. Wenn es nach dem gene­ri­schen Mas­ku­li­num geht, blie­ben und blei­ben die­se Frau­en bis heu­te aber sprach­lich oft unsicht­bar (- Eine spä­te Rache der Män­ner?;)

Wenn 99 Ärz­tin­nen und ein Arzt ein Mee­ting abhal­ten,
dann tref­fen sich laut gene­ri­schem Mas­ku­li­num „hun­dert Ärzte“.

„Das ist nun­mal so, es war schon immer so“, sagen die Gender-Gegner – Da ist es ein inter­es­san­tes Fak­tum, dass der Duden die ‚gene­ri­sche‘ Defi­ni­ti­on des Mas­ku­li­nums über­haupt erst Ende der 90’er Jah­re getrof­fen hat, sie ein paar Jah­re spä­ter jedoch wie­der aus dem Stan­dard­werk gestri­chen wur­de und die­se Begrif­lich­keit bis heu­te eher gemie­den wird. Gleich­zei­tig wur­de seit Mit­te der 90’er nach und nach weib­li­che Berufs­be­zeich­nun­gen im Duden aufgenommen.

Lei­der zei­gen Stu­di­en näm­lich, dass tat­säch­lich gene­ri­sche mas­ku­li­ne Bezeich­nun­gen nach wie vor eher mit männ­li­chen Eigen­schaf­ten, bzw. dem männ­li­chen Geschlecht asso­zi­iert wer­den. Frau­en füh­len sich dadurch nach­weis­lich weni­ger ange­spro­chen, bzw. schät­zen sich selbst fälsch­lich als weni­ger kom­pe­tent oder pas­send für eine aus­ge­schrie­be­ne Posi­ti­on ein ​[2, 4, 7]​. Dies geht so weit, dass je nach For­mu­lie­rung einer Auf­ga­ben­stel­lung – etwa einer Text-Rechenaufgabe – Frau­en schlech­ter abschnei­den, wenn im Auf­ga­ben­text die rein männ­li­che Form gewählt wird ​[4]​. Durch die Spra­che mani­fes­tiert sich also, zwar sehr sub­til, aber doch mess­bar, wei­ter­hin eine Dis­kri­mi­nie­rung; was sich für Frau­en kon­kret ummünzt in sozia­len, beruf­li­chen und finan­zi­el­len Sta­tus. Dies ist nicht nur im Deut­schen zu sehen – der Ver­gleich ver­schie­de­ner Spra­chen und Län­der zeigt: je stär­ker betont das gram­ma­ti­ka­li­sche Geschlecht wird, des­to stär­ker ist der nach­tei­li­ge Effekt.

Die Schwe­den zei­gen, dass es auch anders geht: dort gab es, ähn­lich wie bei uns, kei­nen gender-neutrale Arti­kel – die­ser wur­de ‚künst­lich‘ ein­ge­führt. Stu­di­en bestä­ti­gen nun, dass sich der gender-neutrale Arti­kel (‚hen‘) nicht nur gut eta­bliert hat ​[8]​, son­dern tat­säch­lich auch zu einem Rück­gang des zuvor vor­han­de­nen geschlechts­be­zo­ge­nen Vor­ur­tei­len geführt hat ​[6]​. Auch ande­re Stu­di­en zei­gen, dass eine gender-gerechte Spra­che hilft, die geschlechts­spe­zi­fi­schen Attri­bu­tio­nen aufzubrechen ​[3]​.

Argu­ment 2:

„Das Gen­dern zer­stört den Sprach­fluss, ist anstren­gend zu lesen“

Das ist ver­mut­lich eine Fra­ge der Gewöhnung ​[8]​. Es gibt diver­se Vor­schlä­ge zur Umset­zung einer gender-neutralen Spra­che – alle schei­nen Vor- und Nach­tei­le zu haben. Das ist rich­tig, kann und soll­te aber kein Hin­de­rungs­grund dar­stel­len, sich um eine dis­kri­mi­nie­rungs­freie Spra­che zu bemü­hen. Die Gesell­schaft für Deut­sche Spra­che e.V. (GfdS) for­mu­liert das, grob umschrie­ben, in ihrer offi­zi­el­len Stel­lung­nah­me zum Gen­dern so ​[11]​: man erkennt grund­sätz­lich den Bedarf an einer neu­tra­le­ren Sprach­re­ge­lung an und emp­fiehlt bei der Lösung auf ver­schie­de­ne Kri­tie­ri­en wie (vor-)Lesbarkeit und Ver­ständ­lich­keit zu ach­ten. Auf den ers­ten Blick fast Radi­kal scheint ein Vor­schlag der GfdS, neben männ­li­cher und weib­li­cher Form zukünf­tig jeweils noch eine drit­te, unge­schlecht­li­che Form neu zu schaf­fen – also „Arzt, Ärz­tin, 3.Form..?“.

Am ehes­ten umsetz­bar ist m.E., zumin­dest die weib­li­che und männ­li­che Form expli­zit aus­zu­schrei­ben (z.B. „Besu­che­rin­nen und Besu­cher“). Wohl­weis­lich, dass non-binäre Geschlechts­iden­ti­tä­ten hier­bei aus­ge­blen­det wer­den. Stu­di­en konn­ten zei­gen, dass bei Nut­zung die­ser Beid­nen­nung die weib­li­che Reprä­sen­tanz tat­säch­lich zunimmt; inter­es­san­ter Wei­se gin­gen die Pro­ban­den jedoch davon aus, dass der weib­li­che Part das nied­ri­ge­re Ein­kom­men hat, obwohl Kom­pe­tenz und sozia­ler Sta­tus für bei­de Geschlech­ter gleich ein­ge­schätzt wurden.

Argu­ment 3:

„Der Gender-Wahnsinn wird uns nur künst­lich auf­ge­zwun­gen: man schafft Lehr­stüh­le für Gender-Studien, die jetzt die­sen Quatsch produzieren“

Die­ses Argu­ment hal­te ich für beson­ders per­fi­de. Man unter­stellt Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern pri­ma vis­ta eine Vor­ein­ge­nom­men­heit, nur weil einem die Erkennt­nis­se nicht gefal­len, die sich aus deren For­schungs­pro­jek­ten erge­ben. Manch ein „Män­ner­recht­ler“ sieht gar eine „Ver­schwö­rung“ oder „immer die sel­ben Netz­wer­ke, die sich gegen­sei­tig zitie­ren“ – man(n) lässt außer Acht, dass genau dies die Auf­ga­be von guter Wis­sen­schaft ist und sich dar­über zwangs­läu­fig ein Exper­ten­tum ent­wi­ckelt. Natür­lich wer­den die­se Exper­tin­nen und Exper­ten dann bevor­zugt gefragt, wenn es um das The­ma Gen­dern geht.
Anders aus­ge­drückt: Impfstoff-Forschung gene­riert neue Impf­stof­fe, Mate­ri­al­for­schung Wis­sen zur Mate­ri­al­be­schaf­fen­heit.. und Gender-Forschung eben Erkennt­nis­se zum The­ma „Gen­der“… logisch, oder?!

Ein wei­te­rer Aspekt steckt in die­sem Argu­ment: man ver­weist dar­auf, dass Spra­che sich doch ohne­hin stän­dig ände­re – man müs­se nur Geduld haben und auf die natür­li­che Anpas­sung abwar­ten, dann müs­se man das Gen­dern nicht künst­lich erzwin­gen. Die­ses Argu­ment über­sieht, dass vie­le kon­ser­va­ti­ve Par­tei­en und Lob­by­grup­pen sich auch in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit aktiv einer (sprach­li­chen) Eman­zi­pa­ti­on und der Durch­set­zung einer Gleich­be­rech­ti­gung ent­ge­gen­set­zen. Man nimmt dabei offen­bar auch den inne­ren Wider­spruch zu Argu­ment 1 ger­ne in Kauf. Gleich­zei­tig wird negiert, dass wir gera­de jetzt der Spra­che bei ihrer Ver­än­de­rung förm­lich zuse­hen kön­nen! Die Spra­che folgt letzt­lich den gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen hin zu mehr Plu­ra­li­tät und Gleichberechtigung.

Ziel diver­ser Falsch­be­haup­tun­gen und zum Teil geziel­ter Kam­pa­gnen ins­be­son­de­re aus der völ­ki­schen, national-konservativen Ecke ist es, die tra­di­tio­nel­le Geschlech­ter­rol­le fest­zu­schrei­ben und alle ande­ren Ansät­ze zu dis­kre­di­tie­ren. Ein ger­ne bemüh­tes Nar­ra­tiv ist dabei, „Gen­der“ als etwas Bedroh­li­ches dar­zu­stel­len, das unse­re Gesell­schafts­ord­nung untergräbt ​[9]​.

Fazit

Boy and girl cutout decals
Pho­to by Mag­da Ehlers on Pexels

Zahl­lo­se wis­sen­schaft­li­che Evi­den­zen spre­chen dafür, dass eine gen­der­ge­rech­te Spra­che tat­säch­lich wich­tig ist ​[5]​ dass die Bei­be­hal­tung des gene­ri­schen Mas­ku­li­nums zu einer Auf­recht­erhal­tung über­kom­me­ner Ste­reo­ty­pe und zu tag­täg­li­cher Dis­kri­mi­na­ti­on beiträgt ​[1]​. Die Mög­lich­kei­ten zur „Sicht­bar­ma­chung“ auch des weib­li­chen Geschlechts (und des inzwi­schen auch recht­lich aner­kann­ten „drit­ten Geschlechts“, bzw. quee­rer Geschlechts­iden­ti­tä­ten) sind zahl­los – alle haben ihre Vor- und Nach­tei­le… am prak­ti­ka­bels­ten erscheint mir der­zeit die Beid­nen­nung und/oder Pas­siv­for­men („lie­be Stu­die­ren­de“) die radi­kals­te Lösung wäre die Schaf­fung einer wirk­lich geschlechts­neu­tra­len drit­ten Bezeich­nung, wie etwa in Schwe­den erfolg­reich vorgelebt.

Literatur und Quellen:

  1. 1.
    Brown CS, Stone EA (2016) Gen­der Ste­reo­ty­pes and Dis­cri­mi­na­ti­on. In: Equi­ty and Jus­ti­ce in Deve­lo­p­men­tal Sci­ence: Theo­re­ti­cal and Metho­do­lo­gi­cal Issues. Else­vier, S 105–133
  2. 2.
    Gau­cher D, Frie­sen J, Kay AC (2011) Evi­dence that gen­de­red wor­ding in job adver­ti­se­ments exists and sus­ta­ins gen­der ine­qua­li­ty. Jour­nal of Per­so­na­li­ty and Social Psychology:109–128. https://​doi​.org/​1​0​.​1​0​3​7​/​a​0​0​2​2​530
  3. 3.
    Koll­may­er M, Pfaf­fel A, Scho­ber B, Brandt L (2018) Brea­king Away From the Male Ste­reo­ty­pe of a Spe­cia­list: Gen­de­red Lan­guage Affects Per­for­mance in a Thin­king Task. Front Psy­chol. https://​doi​.org/​1​0​.​3​3​8​9​/​f​p​s​y​g​.​2​0​1​8​.​0​0​985
  4. 4.
    Kricheli-Katz T, Regev T (2021) The effect of lan­guage on per­for­mance: do gen­de­red lan­guages fail women in maths? npj Sci Learn. https://doi.org/10.1038/s41539-021–00087‑7
  5. 5.
    Sczes­ny S, For­ma­no­wicz M, Moser F (2016) Can Gender-Fair Lan­guage Redu­ce Gen­der Ste­reo­ty­p­ing and Dis­cri­mi­na­ti­on? Front Psy­chol. https://​doi​.org/​1​0​.​3​3​8​9​/​f​p​s​y​g​.​2​0​1​6​.​0​0​025
  6. 6.
    Tavits M, Pérez EO (2019) Lan­guage influen­ces mass opi­ni­on toward gen­der and LGBT equa­li­ty. Proc Natl Acad Sci USA:16781–16786. https://​doi​.org/​1​0​.​1​0​7​3​/​p​n​a​s​.​1​9​0​8​1​5​6​116
  7. 7.
    Vain­a­pel S, Shamir OY, Tenen­baum Y, Gilam G (2015) The dark side of gen­de­red lan­guage: The masculine-generic form as a cau­se for self-report bias. Psy­cho­lo­gi­cal Assessment:1513–1519. https://​doi​.org/​1​0​.​1​0​3​7​/​p​a​s​0​0​0​0​156
  8. 8.
    Ver­goos­sen HP, Pär­na­mets P, Ren­ström EA, Gustafs­son Sen­dén M (2020) Are New Gender-Neutral Pro­no­uns Dif­fi­cult to Pro­cess in Rea­ding? The Case of Hen in SWEDISH. Front Psy­chol. https://​doi​.org/​1​0​.​3​3​8​9​/​f​p​s​y​g​.​2​0​2​0​.​5​7​4​356
  9. 9.
  10. 10.
  11. 11.
    Gesell­schaft für Deut­sche Spra­che – Gen­der­ge­rech­te Spra­che. https://​gfds​.de/​s​c​h​w​e​r​p​u​n​k​t​-​g​e​n​d​e​r​i​ng/. Zuge­grif­fen: 27. Mai 2021

Kommentar verfassen