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»Die Milch macht’s« vielleicht doch nicht! (1)

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Die Dis­kus­si­on um Sinn und Unsinn unse­res täg­li­chen Milch­kon­sums ist kei­ne neue. Häu­fig geht es dabei sehr emo­tio­nal zu und es bil­den sich schnell ideo­lo­gi­sche Lager. Ich will daher ver­su­chen, mich in die­ser Rei­he über Milch auf die ‚nüch­ter­nen medi­zi­ni­schen Fak­ten‘ zu beschrän­ken. In Teil 1 stel­le ich die Fra­ge: „wie wich­tig ist Milch für die Knochengesundheit?“

cow-calves-livestock-stockpack-pixabay.jpgUnter ande­rem mit dem Slo­gan »die Milch macht’s« wur­de seit den 1920er Jah­ren mit wohl­wol­len­der staat­li­cher Unter­stüt­zung viel Wer­bung gemacht, um den Milch­kon­sum der Deut­schen Bevöl­ke­rung anzu­kur­beln. Erfolg­reich wur­de ver­mit­telt, die Milch sei für die Calcium-Zufuhr, ein gesun­des Wachs­tum und einen guten Kno­chen­bau lebens­not­wen­dig. Aber stimmt das wirk­lich? In letz­ter Zeit wer­den hier­an immer mehr Zwei­fel laut.
Inzwi­schen dürf­te sich zumin­dest her­um­ge­spro­chen haben, dass Milch eigent­lich kein guter ‚Durst­lö­scher‘ ist, denn dafür ist sie viel zu gehalt­voll: in einem Glas Voll­milch ste­cken zwar viel hoch­wer­ti­ges Eiweiß, Cal­ci­um und Vitamin‑D, aber eben auch mehr Kalo­rien, als zum Bei­spiel in einem Glas Cola. Ame­ri­ka­ni­sche For­scher kri­ti­sie­ren daher in einem aktu­el­len Fach­ar­ti­kel auch die all­zu hohen Ernäh­rungs­emp­feh­lun­gen der ame­ri­ka­ni­schen Gesund­heits­be­hör­de, die der Bevöl­ke­rung emp­fiehlt 3 Glä­ser und mehr Milch pro Tag zu trin­ken1.
Um kei­nen fal­schen Ein­druck zu erwe­cken – vie­le Exper­ten, wie etwa der Ernäh­rungs­wis­sen­schaft­ler Prof. Andre­as Pfei­fer von der Ber­li­ner Cha­ri­té, sehen in Milch nach wie vor ein wert­vol­les Lebens­mit­tel. So sag­te Pfei­fer im Febru­ar 2020 gegen­über dem Baye­ri­schen Rundfunk:

„Milch ist ein sehr gesun­des Nah­rungs­mit­tel, das ein hoch­wer­ti­ges Pro­te­in hat, das Kal­zi­um ent­hält und das wich­ti­ge Nähr­stof­fe ent­hält. Das ungüns­tigs­te dar­an sind die gesät­tig­ten Fet­te, des­halb wür­de ich fett­ar­me Milch­pro­duk­te emp­feh­len“.
- Prof. A. Pfeifer

Pfei­fer rät, im Rah­men einer aus­ge­wo­ge­nen und gesun­den Ernäh­rung zu regel­mä­ßi­gem, aber nicht über­mä­ßi­gem Milch­ver­zehr2.

Milch und Knochengesundheit

Photo of boy drinking glass of milk

Für eine gesun­des und rasches Wachs­tum von Klein­kin­dern und Jugend­li­chen scheint Milch auf jeden Fall einen wert­vol­len Bei­trag zu lie­fern. So konn­te belegt wer­den, dass eine erhöh­te Calcium-Zufuhr das kind­li­che Wachs­tum und die Kno­chen­sta­bi­li­tät för­dert3; Kin­der wer­den also wirk­lich mit Milch »groß und stark«.
Wenn da nur nicht die­se ver­damm­te Stu­die aus 2014 wäre, die auf­zeig­te, dass ein hoher Milch­kon­sum in der Kind­heit asso­zi­iert ist mit einem spä­ter erhöh­ten Risi­ko für einen Ober­schen­kel­hals­bruch4. Heißt dies aber nun, Milch macht die Kno­chen weich? Nein! Eher spie­len beim Frak­tur­ri­si­ko Fak­to­ren wie die Kör­per­grö­ße und das Gewicht eine Rol­le – platt gesagt: je grö­ßer und schwe­rer man wird, viel­leicht auch dank der Milch, des­to höher ist sta­tis­tisch betrach­tet das Risi­ko,  dass man sich irgend­wann im Leben Mal die Kno­chen bricht5,6.

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Wenn man die voll­mun­di­gen Werbe-Versprechen der letz­ten Jahr­zehn­te im Ohr hat, fällt die Daten­la­ge für Erwach­se­ne bezüg­lich der Sen­kung des Osteoporose-Risikos durch Milch­pro­duk­te eher ent­täu­schend aus.
Bereits in 2014 hat­te eine bri­ti­sche Kohor­ten­stu­die für eini­ges Auf­se­hen gesorgt: in der Unter­su­chung war ein ver­mehr­ter Milch­kon­sum im Erwach­se­nen­al­ter mit einem erhöh­ten Fraktur- und Ster­be­ri­si­ko asso­zi­iert7. Doch Vor­sicht: auch aus der Stu­die kann man nicht etwa schlie­ßen, dass die Milch für die­sen nega­ti­ven Effek­te ver­ant­wort­lich wäre! Denn häu­fig berück­sich­ti­gen sol­che Stu­di­en nicht aus­rei­chen die Begleit­um­stän­de: auf­grund der Gesund­heits­kam­pa­gnen und häu­fig auf Anra­ten der behan­deln­den Ärz­te trin­ken ver­mut­lich eher Men­schen mit schwa­chen Kno­chen extra viel Milch – Damit wären die schwa­chen Kno­chen und das Frak­tur­ri­si­ko der Aus­lö­ser für den Milch­kon­sum und nicht umge­kehrt! Zumin­dest kann man fest­hal­ten, dass hier ist das letz­te Wort noch nicht gespro­chen ist.
Ande­rer­seits zeigt der Blick über den Tel­ler­rand, dass in vie­len Län­dern der Erde tra­di­tio­nell nur wenig Milch kon­su­miert wird; trotz­dem bre­chen sich dort die Men­schen auch nicht öfters die Hüf­te, als bei uns! Eher im Gegen­teil: in Län­dern, die ihren Eiweiß- und Cal­ci­um­be­darf eher durch pflanz­li­che Lebens­mit­tel decken, scheint das Vor­kom­men von Osteo­po­ro­se und damit das Frak­tur­ri­si­ko zum Teil deut­lich gerin­ger aus­zu­fal­len, als in den klas­si­schen Milchtrinker-Nationen8.

Für Osteo­po­ro­se ist es nicht ent­schei­dend, wie­viel Milch Sie trin­ken.
- Prof. B. Watzl

Der Deut­sche Ernäh­rungs­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Bern­hard Watzl vom Max Rubner-Institut und Vize­prä­si­dent der Deut­schen Gesell­schaft für Ernäh­rung bestä­tigt gegen­über dem Wis­sen­schafts­por­tal Med­scape, dass es wohl kei­nen gesi­cher­ten Zusam­men­hang zwi­schen Milch­kon­sum und Osteo­po­ro­se gibt – „weder posi­tiv noch nega­tiv […] Für Osteo­po­ro­se ist es nicht ent­schei­dend, wie­viel Milch Sie trin­ken.“9. Der Wis­sen­schaft­ler gibt jedoch auch zu beden­ken, dass die Zusam­men­hän­ge auch hier, wie so oft, wesent­lich kom­ple­xer sind. So wer­den bei­spiels­wei­se vor­wie­gend in nörd­li­chen Län­dern, die eine gerin­ge Vitamin-D-Eigenproduktion auf­wei­sen, ver­gleichs­wei­se vie­le Milch­pro­duk­te kon­su­miert; hier stel­len die­se einen wert­vol­len Lie­fe­ran­ten für Vitamin‑D dar. Weil gera­de die­ses Vit­amin für den Kno­chen­stoff­wech­sel von gro­ßer Bedeu­tung ist, könn­ten im Ergeb­nis gegen­läu­fi­ge Effek­te auf­tre­ten: erhöh­te Frak­tur­ge­fahr durch Vit­amin­man­gel, in denen die Milch immer­hin teil­wei­se, aber viel­leicht nicht ganz, den Man­gel aus­gleicht. Dann wäre es aber wider­sin­nig, der Milch die Schuld zu geben!

Die ame­ri­ka­ni­schen Autoren Wil­let und Lud­wig brin­gen es auf die­se For­mel: ob Milch für unse­re Ernäh­rung wirk­lich ent­schei­dend ist, hängt davon ab, wie wir uns sonst ernäh­ren. Haus­hal­te mit einer eher schlech­ten Grund­ver­sor­gung fin­den in Milch einen guten Lie­fe­ran­ten von hoch­wer­ti­gem Eiweiß, Vit­ami­nen und Spu­ren­ele­men­ten.
Die Autoren wei­sen aber auch dar­auf hin, dass es für alle die­se Inhalts­stof­fe min­des­tens gleich­wer­ti­gen (pflanz­li­chen) Ersatz gibt. Wer also unbe­dingt Wert auf eine Ernäh­rung ohne Milch­pro­duk­te legt – etwa aus ethi­schen Grün­den oder weil man Milch auf­grund einer Lak­to­se­into­le­ranz nicht ver­trägt, der kann sich eben­falls voll­wer­tig ernäh­ren, ohne einen Man­gel zu ent­wi­ckeln8.

Mein vorläufiges Fazit, Thema „Milch und Knochen“

Viel Lärm um Nichts. Die Daten­la­ge ist kom­pli­ziert und unein­heit­lich. Milch för­dert bei Klein­kin­dern das Wachs­tum und lie­fert uns wich­ti­ge Nähr­stof­fe. Zwar wur­den die durch­aus vor­han­de­nen posi­ti­ven gesund­heit­li­chen Effek­te von Milch hin­sicht­lich der Kno­chen­ge­sund­heit in der Ver­gan­gen­heit viel zu sehr über­trie­ben dar­ge­stellt, Milch ist aber sicher auch kein Teu­fels­zeug. Stu­di­en die einen Nega­tiv­ef­fekt nahe legen, blei­ben häu­fig die Ant­wort schul­dig: was ist Ursa­che und was Wirkung?!

Hier geht es wei­ter mit Teil 2Milchkarton.
Im nächs­ten Teil mei­ner Rei­he über Milch wird es vor allem um die Fra­ge gehen, ob von Milch ein Krebs­ri­si­ko aus­geht oder ob sie uns even­tu­ell sogar vor Krebs bewahrt!

Quellen und Anmerkungen:

  1. Wil­lett, WC & Lud­wig, DS: „Milk and Health“. N Engl J Med,  2020 Feb 13; S. 644–54. [Abs­tract]
  2. Jall, M.: „Gesund oder gefähr­lich: War­um Milch bes­ser ist, als ihr Ruf“. Rund­funk­bei­trag vom 20.02.2020, Baye­ri­scher Rund­funk.
  3. Huncha­rek, M; Mus­cat, J; et al.: „Impact of dairy pro­ducts and die­ta­ry cal­ci­um on bone-mineral con­tent in child­ren: results of a meta-analysis“. Bone 2008; 43: 312–321 [Abs­tract]
  4. Fes­ka­nich, D; Bischoff-Ferrari, HA; et al.: „Milk Con­sump­ti­on During Teenage Years and Risk of Hip Frac­tures in Older Adults“ JAMA Pediatr 2014; 54 [Abs­tract]
  5. Sadeghi, O; Sane­ei, P; et al.: „Abdo­mi­nal Obe­si­ty and Risk of Hip Frac­tu­re: A Sys­te­ma­tic Review and Meta-Analysis of Pro­s­pec­ti­ve Stu­dies“ Adv Nutr. 2017 Sep 15;8(5):728–738.  [Abs­tract]
  6. Xiao, Z; Ren, D; et al.: „Height and Risk of Hip Frac­tu­re: A Meta-Analysis of Pro­s­pec­ti­ve Cohort Stu­dies“. Bio­med Res Int. 2016;2016:2480693 [Abs­tract
  7. Michaels­son K, Wolk A, et al.: „Milk inta­ke and risk of mor­ta­li­ty and frac­tures in women and men: cohort stu­dies.“ BMJ 2014; g6015–g6015 [Abs­tract]
  8. Wil­lett, WC & Lud­wig, DS: „Milk and Health“. N Engl J Med,  2020 Feb 13; S. 644–54. [Abs­tract
  9. Sieb A: „»Kein Mensch braucht Milch und Milch­pro­duk­te« – US-Forscher kri­ti­sie­ren im NEJM zu hohe Ver­zehr­emp­feh­lun­gen.“ Med­scape 2020, letz­ter Zugriff am 19.05.2020

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